Katheste Barmesisti Tarainaweti Miret Stadtwache zu Ticaftis

Eine Stunde vor Sonnenaufgang erwachte in Kathestes Haus das Leben. Das heisst, ihre Sklaven, zwei Frauen und ein Mann, bereiteten sich auf den Tag vor. Ihr selbst genügte eine halbstündige Meditation als Ruhephase. Sie sah von dem Folianten auf, den sie diese Nacht in den Ruinen gefunden hatte. Ein guter Fund. So langsam nahm ihre Bibliothek einen ganz ansehnlichen Umfang an.

Die Kerzen, die den Tisch erleuchteten waren fast runtergebrannt. Nun gut, bis heute Abend würden da neue stehen, und bis dahin brauchte sie diese ohnehin nicht mehr.

Eine Sklavin betrat das Studierzimmer mit der Nachricht, dass das Bad vorbereitet sei. Katheste quittierte diese mit einem Nicken. Sie stellte den Foliant in das Regal, bevor sie das Zimmer verließ. Ihre Bücher ließ sie von niemandem, ausser ihr selbst berühren. Mit der Folge, dass sie diese gelegentlich selbst abstauben musste, aber das nahm sie in Kauf.

Im Vorraum hatte sie ein paar Schädel aufgestellt. Einer davon, besonders exponiert angebracht, fiel ihr dabei ins Auge. Sein Besitzer war ein Ork gewesen, beinahe doppelt so groß wie sie selbst. Vor einigen Jahren, als sie nach Ticaftis gekommen war, wäre es fast zu erheblichem Streit mit einigen Einwohnern gekommen, die ihr die ihr zustehende Position in der Stadt nicht zugestehen wollten. Als sie jedoch ein anrückendes Orkrudel im Alleingang auslöschte, waren ihre Gegner verstummt. Sie lächelte den Schädel an. Das hatte er sich verdient, hatte er es ihr doch erspart, innerhalb der Stadt ein Blutbad anrichten zu müssen. Ihre Ausbildung und der Krieg hatten sie gelehrt, Menschen zu töten. Schnell, und ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden. Was jedoch nicht bedeutete, dass sie es gerne tat.

Im Bad wartete bereits Kathestes zweite Sklavin. Sie ließ sich ihre Kleidung abnehmen und schritt in das Becken. Waschen musste Katheste sich allein, wenn sie dieses Bad benutzte. Das Becken hatte eine direkte Verbindung zum Fluss, deswegen hatte sie ihren Sklaven verboten, hineinzusteigen. Das Risiko war einfach zu groß. Zu leicht konnten Flussvipern, giftige Kröten oder sonstiges schädliche Getier hineingeschwemmt werden. Es waren gute Sklaven und Katheste wollte sie nicht durch eine unbedachte Bewegung verlieren.

Als Katheste in Ticaftis angekommen war, war die Stadt in einem Zustand, der es unmöglich machte, zwischen freien Bürgern und Sklaven zu unterscheiden. Deshalb hatte sie einfach drei ausgesucht, die ihr gefielen. Sie hatte ihre Wahl nicht bereut.

Katheste ließ sich Seife und Badeöl reichen, und machte sich daran sich zu reinigen. Danach ließ sie sich abtrocknen. Geräusche aus dem Speisesaal verrieten ihr, dass das Morgenmahl bereit war, doch zuvor leistete sie sich einen weiteren Luxus. Den Nebenraum des Bades hatte sie als Massagesaal herrichten lassen, und zweimal täglich ließ sie sich von ihrem Sklaven mit duftenden Ölen durchkneten. Er verstand sich darauf, und war zudem seit langer Zeit der einzige Mann, dem sie erlaubte, sie zu berühren, ohne sich an ihr die Finger zu verbrennen. Wörtlich. Nach der Massage ließ sie sich von ihren beiden Sklavinnen ankleiden.

Ihr Morgenmahl bestand aus den gleichen Zutaten, wie das der meisten übrigen Bürger Ticaftis: Gerste, Voshella und Trockenobst. Was hauptsächlich daran lag, dass es in der Stadt kaum etwas Anderes gab. Fisch mochte sie um diese Tageszeit nicht, und Fleisch, für Weiden war kein Platz im von der Stadt aus überwachbaren Gebiet. Von den letzten wagemutigen Burschen, die sich gelegentlich zur Jagd in die Wälder gewagt hatten war keiner zurückgekehrt. Sollte Katheste also einmal Lust auf einen Braten bekommen, musste sie selbst jagen. Katheste wurde von einer ihrer Sklavinnen bedient, die Andere war mit dem Sklaven in der Küche. Katheste war aufgefallen, dass er besser arbeitete, wenn sie in seiner Nähe war, und bisher hatten die Beiden ihr keinen Anlass gegeben, sie auseinanderzuhalten.

Nach dem Essen ließ sie sich ihre Rüstung anlegen. Frisch poliert. Nicht, dass das magische Material dieses nötig hätte, aber es sah einfach besser aus. Außerdem waren drei Sklaven ohnehin zu viel, um ständig mit diesem Haus beschäftigt zu sein. Da konnte sie ihnen auch ein paar überflüssige Aufgaben zuweisen.

Als Katheste schließlich das Haus verließ stand die Sonnenscheibe bereits vollständig am Horizont. Gerade noch rechtzeitig, um sich von der Nachtschicht die Ereignisse der Nacht berichten zu lassen.

An ihrem Platz in der Wachstube standen frische Blumen. Katheste musste nicht raten, um zu wissen, von wem sie kamen. Sie kam nicht umhin zuzugeben, dass ihr diese Art der Zuwendung gefiel. Also achtete sie darauf, den Jungen nicht vollständig zu entmutigen. Und vielleicht ließ sie sich ja doch eines Tages verführen. Wenn auch seine Chancen schlecht standen. Seit dem Fall des Dämonentores, vor gut fünfzig Jahren, hatte sie keinem Mann mehr gefallen wollen.

Einer der Nachtwachen hatte eine Gestalt in den Ruinen gesehen. Doch nach kurzem Gespräch stellte sich heraus, dass dies Katheste gewesen war. Der Mann musste sehr gute Sinne haben, dass er die Dämonenwächterin bemerkt hatte. Katheste machte sich eine Notiz, ihn auf die Waldseite der Stadtmauer versetzen zu lassen, wo diese Eigenschaft dringender gebraucht wurde.

Der Vormittag verlief ansonsten Ereignisfrei.
Ihr Mittagsmahl nahm sie mit einigen Stadträten ein, die sich mit ihr über das beste Vorgehen zur Beseitigung der Ruinen berieten. Noch waren diese zu gefährlich, um dort unüberwacht Arbeiter hineinzuschicken. Wachen von der Stadtmauer abzuziehen wäre aber fahrlässig. Mit dieser Diskussion verging auch ein großer Teil des Nachmittags. Eine Unterbrechung gab es, als eine blutrote Wolke über dem Ozean gesichtet wurde. Katheste konnte keine unmittelbare Bedrohung feststellen, ließ sie aber beobachten. Gegen Abend war die Wolke wieder verschwunden. Schließlich konnte Katheste die Räte überzeugen, dass es wichtiger war, ein Stück Wald zu roden, um eine längere Vorwarnzeit zu haben, wenn aus diesem bösartige Kreaturen kamen.

Bevor sie in ihr Haus zurückkehrte kontrollierte Katheste nochmals die Verteidigungsanlagen. Erst, als sie sich versichert hatte, dass es nirgends Probleme gab trat sie den Heimweg an.

Auf dem Markt sah sie einen Stand, der frisches Obst hatte. Katheste nahm sich erfreut einige Früchte mit. Der Händler würde sie dem Rat in Rechnung stellen. Vor einiger Zeit hatte dieser eine Steuer eingeführt, um Kathestes Unterhalt zu finanzieren. Katheste war das ganz recht, schließlich bewachte sie ja alle Bürger Ticaftis, nicht nur die paar Händler, von denen sie sich nahm, was sie haben wollte.

Kathestes Haus wäre auch für einen völlig Fremden in Ticaftis nicht zu übersehen gewesen: Zwei Stockwerke plus Dachgeschoß, die Vorderfront komplett geschwärzt, mit wenigen Ausnahmen. Türstock und -Sturz waren übergroßen ausgebleichten Knochen nachgebildet. Als Türklopfer grinste dem Ankömmling ein gusseisener Schädel mit schwerem Eisenring im Mund entgegen. Darüber war über ein Stockwerk hoch ein bemaltes Relief des Wappens vom Dämonentor angebracht. Der rote Dämonenkopf verriet jedem, woher der Bewohner dieses Hauses stammte. Keine sonstigen Verzierungen waren hier angebracht. Keine Fenster waren auf dieser Seite des Hauses. Die Häuser zu beiden Seiten waren verlassen und zeigten Verfallserscheinungen, als ob dieses Haus selbst eine zersetzende Wirkung auf sie ausübte. Der Vorplatz des Hauses war frisch gefegt. Als sich bei Kathestes Annäherung die Türe öffnete spiegelte sich der Flur im frisch polierten schwarz des Marmorbodens. Kein einziges Staubkorn störte den Eindruck perfekter Sauberkeit. Katheste war mit ihren Sklaven zufrieden.

In der Gewissheit, dass der Straßendreck entfernt sein würde, bis sie später in die Ruinen aufbrach, schritt Katheste in das Ankleidezimer. Dort ließ sie sich von ihrer Sklavin die Rüstung abnehmen und stattdessen ein einfaches Kleid anziehen. Danach war das Abendmahl für sie bereitet. Fisch in leichter Kräutersoße mit Voshella.

Nach dem Essen ließ sie sich waschen, und abermals massieren. Wieder angekleidet ließ sie sich einen Schutzumhang aus schwarzem Samt reichen. Sie hatte diesen irgendwann auf ihren Streifzügen durch Deghon gefunden. Er schützte längst nicht so gut, wie ihre Rüstung, doch war sie darin deutlich beweglicher, und das war in den Ruinen wichtiger als massiver Schutz. Auch ließ sie ihr Speer zurück, stattdessen nahm sie einen Spieß, der sie nur knapp überragte, sowie ein eine Elle langes Messer. So ausgestattet machte sie sich auf den Weg.

Die Kreaturen der Ruinen hatten schnell gelernt, ihr auszuweichen, oder fanden den Tod an ihrem Spieß. Katheste setzte ihre Suche nach nützlichen Gegenständen dort fort, wo sie am Vortag den Folianten gefunden hatte. Doch ausser zerstörten Tiegeln und kaputter Laboreinrichtung war dort nichts weiter zu finden. Einige Stunden setzte sie systematisch ihre Suche fort, zerstörte einige magische Fallen, die teilweise absichtlich vom vormaligen Hausbesitzer zum Schutz gegen Einbrüche angebracht, teilweise durch Fehlfunktion von Artefakten oder Kampfmagie zufällig entstanden waren. Ein armlanger Tausendfüßler biss sich an ihrem Stiefel fest. Ohne großes Aufsehen rammte Katheste ihm ihr Messer durch den Kopf. Noch im Sterben durchdrangen seine giftigen Zangen Kathestes Stiefel, mit dem einzigen Ergebnis, dass er dadurch einen Schutzzauber auslöste, der ihn zu einem Aschehaufen verbrannte. Die Kreaturen der Ruinen stellten für die Stadt keine Gefahr dar. Die Meisten davon würden die Ruinen nicht verlassen. Und wenn, dann in Richtung der Wildnis, nicht in die belebte Stadt.

In dieser Nacht fand Katheste nichts mehr von Bedeutung. Zwei Stunden nach Mitternacht kehrte sie zurück, um ihre Studien fortzuführen. Sie würde ihren Beitrag leisten, wenn das Dämonentor neu erstand. Tief in sich spürte sie, dass der Wächter noch lebte. Was auch immer ihn aufhielt, eines Tages würde er die Überlebenden zusammenrufen und das Dämonentor in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.
Katheste war bereit.