Tchhax Voshellapflanzer aus Ticaftis

Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne sagten Tchhax, dass es nun Zeit zum Aufstehen war. Noch müde schritt er zum Wassereimer hinüber und wusch sich den Schlaf aus dem Gesicht.

"Hachat, hol frisches Wasser." Mit diesen Worten weckte er seinen Sohn. Der war knapp fünf Jahre alt und alles, was Tchhax an Familie hatte. Hachats Mutter war bei der Geburt gestorben. Der Rest seiner Familie in den Kriegen gefallen. Nachdem Hachat mit einem leeren Eimer nach draussen gegangen war stellte sich Tchhax vor einen trüben Messingspiegel, um sich zu rasieren. Als das zuende gebracht war bürstete er den gröbsten Schmutz aus Hemd und Hose. Er hatte ausser diesen nur noch sein Festtagsgewand, also kam er nicht allzu häufig zum Wechseln. Allmählich grummelte er vor sich hin, wo denn der Bengel schon wieder blieb, der Tag würde nicht jünger. Doch Hachat kam bereits wieder den vollen Wassereimer schleppend zurück. Ganz aufgeregt wusste dieser zu berichten, dass sein Freund Kerchhet eine Wurzel gefunden hatte, die genau wie der Kopf eines Gnoms aussah, Er wollte heute zwei rote Steine einsetzen, wo die Augen hingehörten. Kinder. Wie einfach und unbeschwert war doch das Leben für sie.

Tchhax bereitete den Beiden einen Brei aus Gerste, getrockneten Voshella und trockenfrüchten zu. Nach dem Mahl war es auch schon höchste Zeit, zur Arbeit zu gehen. Wie jeden Tag nahm er seinen Sohn und brachte ihn zur Kinderhalle. Eigentlich war diese gedacht, für angehörige des Militärs, doch niemand nahm das allzu genau. Dies war der einzige Ort in Ticaftis, an dem sich um Kinder gekümmert wurde, wenn die Eltern keine Zeit hatten. Auf der Stadtmauer über dem Tor stand die Wächterin. Jeder nannte sie einfach nur die Wächterin. Wie immer, wenn Tchhax sie sah, ergriff ihn ein eisiger Schauer. Noch immer wusste er nicht, was größer war, das Glück, dass sie nun diese Stadt bewachte, oder die Angst, die sie verbreitete. Sie tat, was immer sie wollte. Für die Wächterin galten keine Gesetze. Selbst der Magistrat befolgte einen jeden ihrer Befehle. Niemand wusste, was geschah, wenn sie ihren Willen einmal nicht bekam. Niemand wollte es wissen. Doch seit sie hier war, war kein Monster mehr in gefährliche Nähe der Stadt gekommen. Kein Bewohner Ticaftis mehr im Kampf gegen ein Ungetüm gefallen. Also stellte auch niemand auch nur im Geheimen ihre Anwesenheit in Frage.

Tchhax musste nun wirklich weiter zu den Voshellapflanzungen, seinem Arbeitsplatz. Er war ohnehin schon spät dran. Die Voshellapflanzungen waren in einem freigeräumten Bereich im Schutt des alten Ticaftis, umgeben von einer eigenen Mauer aus den Trümmern der Stadt. Tchhax begann die tägliche Routine. Er sammelte Raupen und andere Schädlinge von den Büschen und entfernte abgestorbene Blätter und Triebe. Die Voshella gab eine reichliche Ernte, doch sie verlangte eine ebenso reichliche Pflege. Von seinen Kollegen erfuhr Tchhax, dass im Osten am Himmel ein Drache gesehen worden war. Die gesamte Stadtwache war in Alarmbereitschaft, die Wächterin hatte die Anzahl der Späher um die Stadt verdoppelt.

Zu Mittag kehrte Tchhax mit seinen Kollegen in einen öffentlichen Speisesaal ein. Für einige kleine Münzen bekamen sie hier ein Mahl aus Gerstennockerl, gekochtem Fisch und einigen frischen Voshellabeeren. Neben den Arbeitern waren auch einige Soldaten der Stadtwache anwesend. Natürlich wurden diese ausgiebig befragt. Der Drache war nicht wieder aufgetaucht, aber die Alarmbereitschaft blieb vorerst bestehen. Nur wenige Wachen waren, wie sie selbst, abgestellt, um in der Stadt ihren Dienst zu tun. "Vielleicht hat der Drache ja Heimweh bekommen und ist zurück in die Berge. Oder er sucht sich ein einfacheres Ziel, als eine gerüstete Stadt. Oder er hat unsere Katheste gesehen und sich in die Hosen gemacht." Der letzte Teil war lachend hinzugefügt. Katheste war der Name der Wächterin. Selbst die Wachen sprachen von ihr wie von einer Göttin. Bevor sie hier aufgetaucht war, waren die Kriegsmagier vom Dämonentor für Tchhax nur Legenden gewesen. Man erzählte sich Wunderdinge von ihnen, doch hier in der Realität, was mochte ein einzelner gegen eine Bestie wie einen Drachen ausrichten?

Die Arbeit am Nachmittag ging weiter, wie sie begonnen hatte. Gegen die stärkste Sonne des Nachmittags wurden einige Strohmatten aufgespannt, damit die aus dem Norden stammende Voshella nicht versengte. Danach begann die Ernte. Nur die wirklich reifen der säuerlichen Beeren durften abgezupft werden. Da die Voshella praktisch das ganze Jahr hindurch blühte und gleichzeitig reifte, brauchte es einige Erfahrung, diese schnell zu erkennen. Doch Tchhax machte seine Arbeit auch nicht erst seit einigen Tagen. Immer wieder schweiften besorgte Blicke zum Himmel, doch der blieb klar. Die Ernte des Tages war zufriedenstellend und man verabschiedete sich für diesen Tag voneinander.

Zuhause wartete bereits Hachat auf seinen Vater. Zusammen mit Kerchhet ritzte er Drachenköpfe und Kriegergestalten in den Weg. Tchhax ließ die Beiden und gesellte sich zu seinen Nachbarn, die Bereits beim Heisamaspiel beisammensaßen.

Schließlich ging Tchhax mit Hachat nochmals in den Speisesaal ein. Das Abendmahl Bestand aus Fischeintopf mit Gerstenfladen. Er ließ sich nochmal von ein paar Bekannten dort zu einem Heisama überreden. Als die Beiden zurückkehrten war die Sonne bereits untergegangen und Tchhax ließ sich in sein Bett sinken.